Zum Hintergrund »Kunst im öffentlichen Raum«   kunst im öffentlichen raum
in sachsen seit 1990
   
Zum Hintergrund

„Kunst im öffentlichen Raum“ steht für künstlerische Eingriffe in den Stadtraum und bezeichnet ein Phänomen und eine Errungenschaft der Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte. Die Aufgabe von „Kunst im öffentlichen Raum“ ist es, Öffentlichkeit zu diskutieren, indem sie an spezifischen Orten künstlerische Anstöße zur Auseinandersetzung gibt und damit Stadtnutzer zum Mitdenken bei Fragen der Stadtentwicklung mobilisiert. Mit anhaltender Wirkung - auch über einen evtl. temporären Bestand hinaus – kann sie an einem Wandel der Sichtweisen und der Ausprägung kollektiven und kulturellen Gedächtnisses mitwirken.

Im Verständnis einer sich bewusst im gesellschaftlichen Alltag verortenden Kunst sind in den Begriff sowohl künstlerische Projekte im städtischen Außenraum als auch solche „am Bau“ in Gebäuden und zugehörigen Anlagen eingeschlossen. In beiden Arbeitsfeldern klinkt sich die Kunst in unterschiedlichen Formen und Diskussionslinien als „Aufheller“, Störstelle, Anmerkung und Kommentar in das funktionale Gefüge urbanen Lebens ein. Beider Aufgabe besteht darin, künstlerische Ansprüche in kunstferne öffentliche Bereiche zu tragen. Sie unterscheiden sich demnach nicht in der Ausrichtung, sondern in ihrer räumlichen Anbindung und in ihrer Finanzierbarkeit über die Verknüpfung mit spezifischen Baumaßnahmen. Wo „Kunst am Bau“ an einem spezifischen Bauwerk und seinen Funktionen ansetzt (und mit Hilfe der „Richtlinie K7“ aus dem Bauetat finanzierbar wird), sucht „Kunst im öffentlichen Raum“ die Foren öffentlicher Plätze. In der Datenbank des Sächsischen Künstlerbundes e.V., die Kunstprojekte in Sachsen seit 1990 dokumentiert, wurde im Sinne dieses gesellschaftlichen Ansatzes nicht zwischen „Kunst im öffentlichen Raum“ und „Kunst am Bau“ unterschieden. Sie wurden unter dem Oberbegriff „Kunst im öffentlichen Raum“ zusammengefasst.  

Der Begriff
„Kunst im öffentlichen Raum“ bezieht sich sowohl auf Projekte als auch auf „Bildwerke“. Die Ausrichtung des interventionistischen Kunstbegriffs ist im Zusammenhang mit der Historie der künstlerischen Praxis im Stadtraum und ihrer Diskussion zu sehen (vgl. Walter Grasskamp in: Skulptur. Projekte, Münster 1997). Schon im 19. Jahrhundert wurde der Verlust einer selbstverständlichen Einbindung von Kunst ins gesellschaftliche Leben beklagt. Indem sich die „Kunst im öffentlichen Raum“ in einer aufklärerischen Funktion versteht und ihre Aufgabe v.a. in der Überwindung einer Entfremdung der Stadtbewohner vom städtischen Leben und vom künstlerischen Umfeld sieht, geht sie von einer geschichtlich fortgeschrittenen Verdrängung von Kunst aus dem Stadtraum und im Bewusstsein der Bewohner aus und damit von der romantischen Prämisse des Verlustes eines einst selbstverständlichen Miteinanders. Vor der Perspektive der modernen rationalistischen Stadt ist „Kunst im öffentlichen Raum“ in diesem Sinne als identifikatorische Möglichkeit zu verstehen, diesem Verlust zu begegnen.

Der Diskurs des19. Jahrhunderts leitete die Themen der Moderne ein und ging von der Zurückdrängung von Kunst aus dem öffentlichen Leben aus. Er bewirkte mit Rekurs auf „Altertum“ und Mittelalter eine Entwicklung, die den Stadtraum zu einem neubelebten Schauplatz von Kunst machte und mittels Bauplastik, Fresken und Denkmälern städtischen Raum inszenierte. Die Bildung von Fonds zur Realisierung „monumentaler Bildwerke“ waren Ausdruck eines wachsenden Nationalgefühls und resultierten zugleich aus dem sozial motivierten Bemühen, Künstlern ein Einkommen und öffentliche Aufträge zu verschaffen. Neben Diskussionen hinsichtlich einer gesellschaftspolitischen Bedeutung der Künste und einer qualitativen Aufwertung der Städte wirkte die soziale Problematik der Künstlerexistenz initiativ, die als Metapher für den unbehausten modernen Menschen stand.

Der praktische Ansatz wurde in der Forderung nach öffentlicher Unterstützung von spezifischen „Kunst am Bau“-Maßnahmen in der Weimarer Republik gesucht. Das parallel zu einer radikalen Versachlichung der Architektur im 20. Jahrhunderts neubelebte baukünstlerische Engagement ist als Versuch zu sehen, die jahrhundertelange Hegemonie der Architektur als Mutter aller Künste und eine symbiotische „Baukunst“ wieder zu beleben und neu auszurichten. Im Zuge einer verstärkten sozialen Ausrichtung der Kunst nach dem 1. Weltkrieg wurde dies auch wegen der zunehmenden Verarmung der Künstlerschaft von den Künstlerverbänden ausdrücklich eingefordert und unter den Nazis ideologisch instrumentalisierte Wirklichkeit. Nach dem Krieg beschloss der Deutsche Bundestag, diese „Kunst am Bau“ - Programmatik zum Zwecke des Wiederaufbaus und zur Förderung der bildenden Kunst in die Gesetzgebung zu übertragen und einen Teil der Bausumme öffentlicher Bauten für die Realisierung von Kunst aufzuwenden. Diese 1-Prozentregelung – in der Folgezeit auf 2 Prozent erhöht – wurde als „Richtlinie K7“ bekannt. Parallel zu ihrer Anwendung bzw. zur Praxis architekturbezogener Kunst mit gesellschaftspolitischem Hintergrund in der DDR wirkten seit den 60er Jahren die institutionskritischen Vorstöße progressiver westlicher Künstler als erklärte Absage an die Autonomie der Kunst in Richtung einer neu zu erlangenden Verbindung von Kunst und Leben aktivierend im öffentlichen Raum. Sie gewannen in Landart-Aktionen, Environment- und installativen Arbeiten sowie ortsspezifischen und konzeptuellen Projekten außerhalb der Kunstinstitutionen Raum. Das städtische Leben wurde zum spezifischen Motiv der Kunst. Der Stadtstaat Bremen gilt als Vorreiter, die Finanzierung von „Kunst im öffentlichen Raum“ 1974 durch die Aufhebung der Zwangsbindung der „Richtlinie K7“ an Neubauvorhaben eingeleitet zu haben.

Bei der Umsetzung wird „Kunst im öffentlichen Raum“ aus künstlerischer Perspektive weitgehend im Sinne eines aufklärerischen Begriffes der Sensibilisierung der Stadtbewohner durch Eingriffe in den Stadtraum aufgefasst. Das heutige Verständnis öffentlicher Auftraggeber, „Kunst im öffentlichen Raum“ vermehrt als Instrument zum Kaschieren städtischer Fehlentwicklungen einzusetzen, wirkt ähnlich diskreditierend wie die Unterschätzung von „Kunst am Bau“ - Aufgaben als bloße Dekoration und im Dienst der Architektur. Der künstlerische Ansatz muss jenseits dessen darin bestehen, mit bildnerischen Mitteln prononcierte Reibungsflächen zu schaffen und in unterschiedlicher Weise Diskussionen aufzunehmen, die thematisieren können, was öffentlichen Lebensraum ausmacht. Die besondere Wahrnehmung und Diskussion öffentlicher Kunstprojekte durch eine breite Schicht der Bevölkerung zeigt, dass Kunst diesen öffentlichen Stadtraum in spezifischer Weise präsent machen kann und aktivierend für städtische Diskussionen wirkt. Dieses Potential gilt es produktiv zu nutzen. Auf der Basis des regional in unterschiedlicher Reichweite errungenen Miteinanders von städtischen Verantwortlichen, Bauherren und Trägern der Kunst, muss es darum gehen, Projekte im Außenraum und außerhalb musealer Präsentationen als Möglichkeiten einer spezifischen gesellschaftlichen Anbindung an urbane Situationen und als Impulse für Denkprozesse zu verstehen. In Anstößen für Veränderungen in den Köpfen der Stadtnutzer kann Kunst heute zunehmend ihre eingeklagte gesellschaftspolitische Funktion wieder finden, die als Motiv im Galerieraum nur Alibicharakter hat.

Die Zusammenarbeit von Bauträgern, Architekten und Künstlern zu befördern, ist eine wichtige Aufgabe. Der „Leitfaden Kunst am Bau“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gibt einen praktischen Rahmen vor, nach dem auch bei anderen öffentlichen und privaten Bauvorhaben gehandelt werden kann. Als Ergebnis eines vom Sächsischen Künstlerbund e.V. initiierten und in Kooperation mit der Architektenkammer Sachsen veranstalteten Symposions „Kunst und Bauen“, das zur Optimierung der Zusammenarbeit von Künstlern, Architekten sowie Bauträgern beitragen wollte, wurde ein Handbuch zu konkreten praktischen Fragen der Realisierung bei Kunst am Bau-Projekten erarbeitet. Sein Anliegen ist es, umfassende Informationen zur Vorbereitung, praktischen Umsetzung und Ausführung von Aufgaben im Bereich Kunst am Bau/ Kunst im öffentlichen Raum zu liefern und damit gemeinsame Unternehmungen zu befördern. (Verfasser: Lydia Hempel, Sächsischer Künstlerbund)

   
 
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